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Wer Halt gibt, stellt auch ein Bein

Noßmanns Schau: Wer Halt gibt, stellt auch ein Bein, oder: Jeder ist „so und so“
Westfalenpost, 1993

Schwelm.

Es ist schon einige Jahre her, da erregte Andreas Noßmann Aufsehen mit seinem Werkbeitrag für eine Gemeinschaftsschau im Haus Martfeld. Zur Begeisterung über das unbezweifelbare zeichnerische Talent des jungen Ennepetalers kam der Schock über die Freizügigkeit, mit der dieser Künstler heilige Themen behandelte – pellte er doch das Salzburger „Wolferl“ mit rüdem Geschmack aus der Leibwäsche.

Provokation als ästhetische Grundhaltung prägt nach wie vor die Bilder des Andreas Noßmann, der bei Gerd Aretz und Will Sensen an der Bergischen Universität in Wuppertal studierte. Er, der zu den wenigen gehört, die mit 30 schon arriviert sind, ist weit über die Region hinaus im Gespräch, zuweilen umstritten, nicht kritisch-frech aus Trendopportunismus, nie abgegriffen populär.

Einer Schau vorgeschaltet, die Noßmann im November gemeinsam mit Christa Wolff durchführen wird, ist eine kleine, feine Präsentation von Radierungen in der Galerie Basiner. Hier zeigt Noßmann zur Zeit Szenen aus Zirkusalltag und Musiker-Welt.

Der Vorhang ist geöffnet und gibt den Blick frei auf eine Bühne, auf der abgerissene Hintertreppen-Gaukler windschiefe Balanceakte und zerknautschte Gruppenartistik mit Schlagseite bieten. Bei grotesk-clownesken Turnereien gewährt man dem Partner gerade so viel Halt, daß die Kraft noch reicht, ihm auch ein Bein zu stellen.

Als habe er „Oliver Twist“ illustriert, führt Noßmann gnomenhaft-verwachsene, ausgemergelt-knarzige Spießgesellen von häßlichem Reiz vor. Prachtvoll, wenn sie mit dem Stolz der Außenseiter ihre zerlumpte Großartigkeit zur Schau stellen, mies, wenn sie ungeniert, verschlagen, spitzfindig und irgendwie verloren die handelsüblichen Bösartigkeiten des mitmenschlichen Verkehrs ausleben.

Hier werden, stellvertretend für den kultivierten Betrachter, die menschlichen Nachtseiten aufgezogen: Dummheit, kalkulierte Raffinesse, Gemeinheit um ihrer selbst willen, Trauer und Grausamkeit, gleichermaßen sinnlos, Lächerlichkeit. Im Gewand der Posse werden aber auch gegeben: Verlogenheit, linkische Schläue, Selbstgefälligkeit.

Auch mit den in dieser Ausstellung gezeigten Musiker-Figuren stimmt etwas nicht. In ihrer Hingabe an die Kunst sind die von der Muse sturmreif Geküßten zugleich rührend-entrückt und herrlich-lächerlich.

Meisterhaft füllt Noßmann den Bildgrund, setzt Personengruppen in spannungsreiche Balance, läßt Figuren den Vordergrund dominieren, deutet mit wenigen Strichen einen scheinbar lebendigen, ausgefüllten Hintergrund an. Ohne Rückgriff auf Skizzen und Vorstudien vertraut er auf einen beneidenswerten Vorrat an Phantasie, an räumlichem Vor- und Darstellungsvermögen. Es will scheinen, als komponiere Noßmann gezielt im Augenblick schnellen, überlegten Zeichnens – eine Bildlektüre mit vielen spannenden Kapiteln. (Montags und donnerstags von 15 bis 18 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung unter 17833, Kölner Straße 9).

Heike Rudolph

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