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Im Gehege der Triebe

Das Aegis-Kabinett zeigt Radierungen von Andreas Noßmann

Das Aegis-Kabinett zeigt Radierungen von Andreas Noßmann
Schwäbische Zeitung

Im Gehege der TriebeSeitenverkehrt und mit spitzer Nadel gräbt der Radierer seine Zeichnung in den weichen Grund der Druckplatte. Im besten Falle – zumal dort, wo die menschliche Komödie figürlich bebildert wird – bedeutet dieses Spiegelbildliche der Technik ebenso auch einen wechselnden Entwurf inhaltlicher Möglichkeiten, die sich gleichsam zwischen dem Teufel und dem lieben Gott aufspannen: Hass und Schwachheit oder Freudensprung und Hingabe lassen dann im Auge des Betrachters eine Art „humanistisches Volumen“ entstehen, das die Wirklichkeit fast zu einer Karikatur des Abgebildeten mutieren lässt. Der junge Zeichner und Radierer Andreas Noßmann ist künstlerisch von solcher Statur. Seine kleine Ausstellung bei Aegis lindert quasi gewisse Schmerzen des Intellektes.

Der 1962 in Hilden geborene Künstler vermag es spielerisch, das vergleichsweise minimal vermessene Geviert seiner Blätter zu einem wirklichen, zu einem überzeugend ernsthaften Austragungsort menschlicher Sonderbarkeiten zu machen. Ihn beschäftigt die motivgehaltliche Tiefe dessen, was gemeinhin als profane und situationsgebundene Notiz nur versandet. Vor seinen Arbeiten stellt sich immer und immer wieder die Frage, ob dem Dargestellten nun um der Wollust oder um des Bösen Willen Ereignis zugestanden wird. Wer aber mit ihm die Bühne des Lebens betritt, bedarf des lästerlich skurrilen Humors.

Andreas Noßmann belegte nach seinem Studium an der GHS-Universität Wuppertal den Studiengang Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt freie Grafik und Malerei bei den Professoren G. Aretz, W. Sensen und M. Badura. Seit 1987 richtete er zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen aus. Zudem beteiligte er sich an einer Reihe von Messen und kann auf ein Dutzend buchartiger Publikationen sowie mehrere öffentliche Arbeiten (Plakatgestaltungen) verweisen. Im Graphik-Kabinett nun zeigt er einen übergreifenden Ausschnitt seines Wirkens. ,
Vorgestellt werden hier Blätter aus verschiedenen Zyklen, etwa aus den „Variationen zu Goya“, aus der Serie „Phantom der Oper“, den Caprichos zu „Paganini“ . oder aus „Zirkus“. Im Mittelpunkt steht stets der Mensch als ein mit grausam vernichtender Gewalt (seiner selbst) konfrontiertes Wesen: Spreizig und ungelenk bei aller Raffinesse wirkt der Strich dort, wo das Vibrieren der Nerven des Bildpersonals dies gebietet.

Feinsinnig und artistisch und wie gegen den Sturm erfühlt, bestimmt von Pulsschlag und Atemfre-quenz geradezu, ordnen sich andernorts die Liniengespinte zu lebendigen Wesen. Und doch: Die Abendluft, die man auf manchen Blättern zu spüren vermeint, wirkt unverbindlich; manche Figuren scheinen von heillosem Interesse zerteilt, andere scheinen bloß einem Gerücht auf-, gesessen. Nirgendwo mangeld es an jener Willkür, die etwa aus dem holden Gesicht¬lein von „Schneewittchen“ die ordinäre Lust einer greisen Nymphe leuchten lässt, um von der restlos liquidierten Niedlich¬keit der sieben Zwerge gar nicht erst zu reden. .

Andeas Noßmann verweilt jedoch nicht im artistisch Exklusiven seines strich¬technischen Vermögens, sondern lotet auch Farben, und Helldunkel-Reize aus. Teilweise sind die Blätter von mehreren Platten gedruckt; die in der Wirkung der Sepia-Zeichnung ähnelnden Arbeiten zeichnen flächig subtile Halbtöne und ein feines Korn aus. So hat man es bei diesen Blättern gewissermaßen mit optischen Überlandfahrten zu tun, mit Exkursionen ins Niemandsland des kritischen Um-schwunges oder Ausflügen ins Freigehege des, triebhaften Wirkens, bei denen das Reiseziel offen bleibt: Den Sinngehalt be¬stimmt der subjektiv empfundene Fahrt¬wind. Voll offener und versteckter An¬spielungen präsentieren sich die Arbeiten, dass (zuletzt) alles auf ihnen neu anmutet. Und wenn es denn stimmt, dass Sammler und Liebhaber auf jedes Detail achten – Andreas Noßmann enttäuscht sie nicht. Sehenswert!

Ralf Heese

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