Als die Französische Revolution 1789 ihren Anfang nahm, einem Erdbeben unfassbaren Ausmaßes gleichkommend, welches nicht nur Frankreich, sondern auch ganz Europa in seinen Grundfesten erschütterten sollte, war sicherlich noch keinem der damaligen Akteure bewusst, dass dieses Ereignis wohl eines der folgenreichsten der neuzeitlichen europäischen Geschichte sein würde – die kommenden politischen Entwicklungen Europas und dessen Demokratieverständnis maßgeblich beeinflussen sollte.
Das nun nahende Ende des Jahrhunderte langen Despotismus, die Abschaffung des feudal-absolutistischen Ständestaats, sowie die Propagierung und Umsetzung grundlegender Werte und Ideen der Aufklärung, angeregt auch durch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, sollte die wie selbstverständlich erscheinende Vormachtstellung des Adels und deren immerwährenden Privilegien, rein per Geburtsrecht vererbt, nun endlich für immer beenden. Das solch ein tiefer gesellschaftlicher Einschnitt nicht friedlich vonstattengehen, sondern ein äußerst blutiger Weg sein würde, dies lag wohl auf der Hand.
Königliches Kunstmuseum, Brüssel
Jean Paul Marat, eigentlich Arzt und Naturwissenschaftler, gilt als einer der radikalsten Vertreter der französischen Revolution. Er war Sprachrohr und Agitator der Sansculotten, einer Vereinigung Pariser Kleinbürger und Arbeiter, die vor allem die Jakobiner unterstützten und welche den eher gemäßigten Girondisten nicht nur feindlich, sondern fast schon mit Hass begegneten. Marat forderte nicht nur öffentlich, vor dem Nationalkonvent, dass hunderttausende Köpfe rollen müssten, sondern gilt auch als einer der heimlichen Drahtzieher des Septembermassakers von 1792. Diese Entartung völliger Entmenschlichung entlud sich unter dem Eindruck vorrückender preußisch-österreichischer Truppen auf Paris, um die Monarchie und die „alte“, allgemeine Ordnung wiederherzustellen. So kam es zu einer Art Massenhysterie („vermutlich“ von Marat angestachelt), in deren Verlauf der aufgebrachte Mob alle Pariser Gefängnisse erstürmte und die dort inhaftierten, die vermeintlichen Gegner der Revolution, so auch Frauen, Kinder und Greise, auf bestialische Art und Weise, in einer Art von unstillbarem Blutrausch, lynchte. Auch als sich selbst ein Danton und Robespierre angesichts dieser Untaten mit völliger Abscheu abwendeten, kam von Marat noch nicht einmal ein Kommentar der Missbilligung hinsichtlich dieser unsäglichen Ereignisse, die anscheinend keiner der führenden Köpfe des Konvents verhindern wollte oder hätte können.
Am Ende wurde Marat selber Opfer eines simplen Rachemords, begangen von Charlotte Corday, einer glühenden Anhängerin der Girondisten, die es nicht verwinden konnte, dass diese, unter der ständigen öffentlichen Einflussnahme und Agitation Marats, zunehmend, zu Gunsten der Jakobiner, maßgeblich an Einfluss verloren. Sie kaufte noch kurz zuvor das Küchenmesser, das Mordinstrument, erschlich sich Eintritt in sein Haus unter dem Vorwand ihm noch weitere Namen von Girondisten nennen zu können, welche maßgeblich immer noch an einer Widereinführung der Monarchie glauben würden.
Marat, an einer Hautkrankheit (Seborrhoische Dermatitis) leidend, saß wie immer immer in seiner Badewanne um dessen symptomatischen Juckreize zu lindern, als Charlotte in das Zimmer eintrat. Sie stach sofort zu, mit einer gut 20 cm langen Klinge, in Hals und Brust, kurz über und unter dem Schlüsselbein, wodurch Marat sofort sein Bewusstsein verlor und in nur wenigen Minuten ausblutete. Schon vier Tage nach ihrem Attentat wurde sie guillotiniert und Marat posthum zum wahren Helden der Revolution verklärt, sein Herz einbalsamiert und zum heiligen Relikt der Revolution stilisiert. Aber es sollten noch so viele, so unzählige weitere Köpfe rollen …
Bleistift, Farbstift, Aquarell
Wvz. 5289
Format: 700 x 500 mm
Februar 2022
Natürlich entstand diese Zeichnung vor allem in Anerkennung der künstlerischen Leistung Davids, seiner Umsetzung jenes Gemäldes: Tod des Marats. Dieses Werk, welches mich schon ein halbes Leben lang verfolgt, sowie mein Interesse an den Wirren jener Zeit, haben mich nun doch dazu verführt es endlich einmal zu wagen. Ich darf hoffen, dass mein Ansinnen halbwegs gelungen ist.
David selber überreichte vier Monate nach dem Mord an Marat dem Konvent sein Gemälde, wobei er eine flammende Rede auf den großen Helden der französischen Revolution hielt. Es hing aber dort nur kurze Zeit. Denn nach dem Fall der Jakobiner, dann in Zeiten Napoleons und der nachfolgenden Restauration, wollte dieses Bild keiner mehr haben. Alle Versuche dieses Gemälde wieder in den Besitz des französischen Staates zu übereignen scheiterten. Keiner wollte mehr einen solch radikalen Revolutionär, selbst einen toten, aber vor allem einen gerade ermordeten nicht irgendwo öffentlich ausstellen wollen. 1893 vermachte der Neffe Jacques-Louis Davids, vermutlich aus Dankbarkeit über die freundliche Aufnahme seines Onkels in Brüssel, das Bild dem dortigen Königlichen Museum. Und dort hängt es heute noch …