



Die alttestamentarische Geschichte von Daniel in der Löwengrube ist kein Bericht über ein Wunder, sondern ein seelisches Drama, ein Kammerspiel der inneren Haltung, das sich unter den Augen eines Hofes abspielt, der von Neid, Ehrgeiz und der fiebrigen Angst vor Bedeutungslosigkeit durchdrungen ist. Und mitten in diesem brodelnden Geflecht steht Daniel — ein Mann, der nicht kämpft, nicht schreit, nicht intrigiert, sondern einfach bleibt, was er ist. Gerade darin liegt seine Provokation.
Man muss sich diesen Hof vorstellen: die flüsternden Gänge, die scharfen Blicke, das ständige Abwägen, wer steigt und wer fällt. Jeder Schritt ist ein Risiko, jede Geste ein politisches Statement. Und Daniel, der Fremde, der Exilierte, bewegt sich darin mit einer Ruhe, die seine Gegner rasend macht. Nicht weil er mächtig wäre, sondern weil er sich der Macht entzieht. Er ist nicht verführbar durch Vorteile, nicht einschüchterbar durch Drohungen. Seine Loyalität gilt keinem Menschen, keinem System, sondern einem inneren Gesetz, das er nicht laut verkündet, sondern still lebt. Gerade diese Stille ist es, die die anderen nicht ertragen.
Als der Erlass verkündet wird, der König Darius zum einzigen Adressaten aller Gebete macht, spürt Daniel gewiss die Falle. Er ist nicht naiv. Er weiß, dass die Intrige gegen ihn gerichtet ist, dass man ihn nicht wegen eines Vergehens, sondern wegen seiner Unbestechlichkeit treffen will. Und doch kniet er nieder und betet zu seinem Gott, wie er es immer getan hat. Nicht trotzig, nicht heroisch, sondern selbstverständlich. In diesem Moment zeigt sich, was Integrität wirklich bedeutet: nicht der große Aufstand, sondern die Weigerung, sich selbst zu verraten.
Die Löwengrube — dieses Bild ist so übermächtig, dass es fast die feineren Nuancen der Geschichte überdeckt. Doch gerade sie machen die Szene so eindringlich. Man stelle sich die Nacht vor, die Daniel dort verbringt: das Atmen der Tiere, das Scharren, die Nähe des Todes, der nicht als Feind erscheint, sondern als Möglichkeit. Und Daniel, der in dieser Finsternis nicht verzweifelt, sondern innerlich aufrecht bleibt. Es ist ein Moment, in dem ein Mensch auf das Äußerste reduziert wird — und gerade dadurch zu sich selbst findet.
Auch der König Darius verdient Beachtung. Er ist kein Tyrann, sondern ein Mann, der zu spät erkennt, dass Macht, einmal entfesselt, sich gegen den eigenen Willen verselbstständigt. Seine Unruhe in der Nacht, seine Hast am Morgen, sein fast kindliches Rufen in die Tiefe — all das zeigt einen Herrscher, der begreift, dass Gerechtigkeit nicht im Erlass, sondern mit Vernunft beginnt. Und dass er selbst an dieser Stelle versagt hat.

Bleistift, Farbstift, Aquarell
Wvz. 5464
Format: 500 x 500 mm
Dezember 2025
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